Ich befinde mich in der Bar „ White Russian“.

Es ist noch früh, die Bedienung scheint gerade erst die Getränke aufzufüllen.
Sehr hübsch, für ein so junges Mädchen. Sieht aus wie eine russische Bellucci.

Bin ich etwa zu früh ? Kurz nach zehn, war abgemacht.

Ich gehe an die Bar und beschließe zu warten. Einen Martini bitte !
Er kommt prompt. Wirklich sehr hübsch, dieses Mädchen.


Ich versuche den Mann den ich gleich treffen werde, mit diesem Laden in Verbindung zu bringen.
Schwierig.

Um ehrlich zu sein, weiß ich gar nicht was mich erwartet. Bisher habe ich kein Bild gesehen.
Ob sie ihn hier wohl kennen ?
Ich frage.


„Natürlich, xxx ist oft hier .Immer mit seinen Freunden. Verrückte Truppe.“


Was ein Lächeln. Was für weiße Zähne. Soll ich nach ihrer Nummer fragen ?
Nein ! Berufsethos ! Trink deinen Martini.
Ich schau verkrampft auf die Uhr.
Sie sieht leicht enttäuscht aus, lässt sich jedoch nichts anmerken.

Ein Profi, die Kleine.
Endlich ist er da. Lächelnd.


Er grüßt mich und die kleine Schönheit schon an der Tür.
Weißes V-Shirt, Blue- Jeans, cremefarbenes Cord-Sakko, braune italienische Schuhe.
Geschmack hat er. Er ist kleiner als ich erwartet hätte.
Doch auch viel hübscher.

Wir begrüßen uns herzlich, als wäre ich ein alter Freund. Er nimmt mich am Arm und bringt mich in einen Aufzug, der uns nach unten bringt. Er sagt, man nennt es die Grotte. Interessanter Mann. Das Herzstück des „White Russian“. Ein alter, stillgelegter U-Bahnschacht, dient hier als neo-barockes Paradies.
Mein Gott ! Was für Farben.

Hier sollen nur enge Freunde des Besitzers Einlass haben. Ein persönlicher Raum in der eigenen Ödnis.
Auf den Tischen liegen Flaschen, deren Wert ich hoch dreistellig schätzen würde.
Wir setzen uns. Noch ist keiner hier. Er macht zwei Drinks bereit.
Ich hole mein Recorder und lege ihn auf den Tisch

.
Abschrift des Tonbandes:

„ Hi!“
„Hi“ (er lacht)
„Ich darf dich doch xxx nennen ? „
„Haha, du darfst mich benennen wie du willst. xxx, xxx, Herr xxx.
Nein nicht Herr xxx, dass ist mein Vater wohl eher als ich.“
„Verzeih, aber ich muss der Förmlichkeit wegen...“

„Entspann dich !"


Wir stossen an. Er trinkt das Glas halb leer.

Ich beschließe mit meinen Fragen zu beginnen.

„Ok, kommen wir zur Sache. Was willst du ?“

„So direkt. Nicht schlecht. Was ich will ? Ich weiß es nicht. Ich müsste jetzt in diesem Augenblick lügen, gäbe ich dir eine Antwort. Ich mein, ich habe viele Gedanken und noch mehr Gefühle.
Aber was ich will, weiß ich nicht, ich kann dir auch nicht sagen, was du wollen willst.“

Auf einmal ist das Lächeln weg, verschwunden. Übrig geblieben ist ein sehr nachdenklicher Blick ins Leere. Man spürt förmlich was er denkt, wenn er spricht und man ihn anschaut.

„Wieso schreibst du ?

„Du bist hartnäckig. Gut. Das gefällt mir. Primär Eigentherapie. Danach kommt der Wunsch zur Veränderung. Veränderung der Verhältnisse, Veränderung des künstlerischen Ausdrucks,
Veränderung von mir und der Welt. So pathetisch das klingt. "

„Eigentherapie ?“

Er schmunzelt. Nach einigen Momenten antwortet er.

„Ja. Das ist doch klar ersichtlich.“

„Hat sie gewirkt ?“

Er lacht wieder. Bei dieser Frage ungewöhnlich. Doch er weicht nicht aus.

„ Auf jeden Fall. Die meisten Dinge, die ich sage, lauern schon seit Ur-Zeiten in mir. Ich weiß das. Doch zum ersten Mal bin ich in der Lage, alles adäquat auszudrücken. Alles auf diese Art und Weise los zulassen.
Es sprechen lassen. Ich habe mich in der Enstehungszeit sehr lebhaft mit mir selbst unterhalten. Es ist ein großer Unterschied, ob man laut oder nur in Gedanken mit sich spricht. Es ist leicht schizophren, ich sehe schon deinen Blick. Doch sind wir das nicht alle ? Ich meine überhören sie all die Stimmen, die in ihnen sind ?

„Wer sind „Sie“ ?“

„Die Menschen... Die die sich selbst verleugnen. Und ich meine nicht auf einer moralisch-ästhetischen Weise, sondern die, die entweder alles metaphysisch betrachten oder die, die alles als negatives Faktum sehen,
um sich zu positivieren.“

„Das musst du jetzt aber erklären !“
„Ok.“

Er lehnt sich zurück, nippt ein paar mal am Glas und schaut mich durchdringend an.
Aber nicht stechend, eher beruhigend.

„Glaubst du an den Unterschied ? Im Generellen meine ich.“

Er dreht den Spieß also um. Ich bin verwirrt.
Mit dieser Frage hätte ich nicht gerechnet.
Ich versuche klug zu antworten.
Er soll nicht denken, dass ich ein Idiot bin. Ich denke.

„Ist nicht alles was ist, unterschiedlich, sobald ich sage, das ist UND das auch.
So identisch sie sich in allen Belangen geben, so muss die ontologische Qualität geschieden
und so mit auch unterschieden sein.“

„Interessant. Also glaubst du an den Unterschied ?“

„Ja.“

Will er mich verspotten oder denkt er wirklich darüber nach.
Ich weiß nicht, was es mit diesem Spiel auf sich hat,doch die Grotte füllt sich langsam aber sicher,
immer mehr mit den verschiedensten Leuten. Jeder grüßt den anderen nur dezent, ohne zu stören.
Mein Blick bleibt an einer Göttin kleben, die nur aus Beinen besteht.
Endlos.

„Bist du noch da ? Oder soll ich sie her beten ? Das ist Bea. Eine kubanische Schauspielerin und Freundin.“
Süffisant und mit einem diabolischem Lächeln, holt er mich in zurück

War es die ganze Zeit so dunkel ?

„Verzeihung, ich bin durch deine Frage etwas irritiert gewesen. Ja, ich glaube an den Unterschied, doch was willst du damit sagen ?“

„ Glaubst du an Gott ?“

Noch so eine Frage.
Ich weiß nicht wieso, aber ich muss an meinen Mathematiklehrer denken.


„Nicht klassicherweise, aber schon als Abstraktum. Ich komme aus der jüdischen Tradition.
Ich bin aber nicht landläufig gläubig. Eher das Gegenteil.“

„ Abstraktum, sagst du... ?

Ist dieser Gott demnach omnipräsent und -potent ?“

„Ich würde sagen, Ja. Sonst wäre er nicht „GOTT“, oder ?“

„Ist dein Gott selbstevident oder ist er ein Produkt aus verschieden Entitäten ?“

„Ich kann mir nichts vor ihm und auch nichts nach ihm vorstellen.“

„Also IST er, im ontologischem Sinne, als absolutes Sein.“

„Ja. Kann man sagen.“
„Wie kann dann etwas von ihm unterschieden sein, wenn er das absolute Quantum an Sein beinhaltet ?
Wie kann etwas dann sein und es ist nicht Gott. Nicht partizpient, sondern absolut ?!“

„Ich weiß es nicht.“

Er lächelt.
„Du musst mehr auf deine Stimmen hören, als auf kluge Meinungen !“

Ich verstehe.


Gut, dann können wir jetzt ja weitermachen.

„Die meisten Menschen suchen ihr Leben lang und finden nichts was sie befriedet.
Kannst du von dir behaupten, das deine Suche beendet ist ?!“

„Ich behaupte, das die Suche an sich nichts finden lässt. In dem Moment wo ich beschlossen habe nicht mehr zu suchen und nicht mehr zu warten, wusste ich worauf ich gewartet habe und wonach ich gesucht habe. Dieser Moment kam, meines Erachtens nach fast schon zu spät.... Vielleicht ist das der Grund.“

„Der Grund für was ?“

„Für die Suche.“

„Das wir nicht wissen, das wir eigentlich nicht suchen sollen ?“

„Nein.Ja...Suchen in dem Sinne, dich oder deine Welt verlassen zu wollen, weil du denkst es fehlt dir etwas.“

„Glaubst du der Mensch ist somit perfekt und allumfassend ?“

„Allumfassend, gewissermaßen Ja. Perfekt, Nein. Perfektion ist lediglich das Ende der Vorstellung. Ich glaube das der Mensch, das ist was er ist. Aber nicht als abgestecktes Gegebenes, das sich vielleicht noch, im sartreschen Sinne seiner ontologisch-freiheitlichen Grenzen bewusst wird und sie dann verwirft, eher, das es nur „Ich“ gibt. Nichts Fremdes. Keine Angst und kein Versagen.“

„Wo du es erwähnst, Sartre scheint eine enorme Wirkung auf dich gehabt zu haben.
Positiv wie negativ...!“
„Absolut. Ich habe mich sehr an ihm formen können. Eine Zeit lang bin ich mit seinem „Sein und das Nichts“, neben dem Kissen eingeschlafen. Roter Umschlag, mit tiefschwarzer Schrift, wunderschön.
Aber neben Sarte, gibt es noch andere Denker, die in mir entscheidende Dinge ausgelöst haben.
Nietzsche, das Ende und der Anfang, Plato, der König, Parmenides, der Entschiedene,
Siddartha, der Erleuchtete, Heidegger, der Dunkle. Um nur in der Philosophie zu bleiben.“

„Große Lehrer hast du dir da ausgesucht...“

„Ich würde sie nicht als Lehrer bezeichnen, eher als Freunde. Ich habe oft und tue es immer noch, ihre Gesellschaft gesucht. Gerne ihr Wort gehört. Ihre Meinung respektiert. Doch wie das mit Freunden ist, entfremdet man sich manches mal, widerspricht sich in einigen oder vielen Dingen, doch bleibt man als wahrer Freund auf eine Art und Weise verbunden, die immer wieder leicht zu finden ist.“

„Freunde ? Ein schöner Gedanke...!“

„Ja, doch leider entwickelst du dich und du wünschst dir ihnen von Angesicht zu Angesicht widersprechen zu können, manches mal in der Hoffnung, sie widersprechen dir und nehmen dir die quälende Ungewissheit,
die sich ihrer Gedanken wegen, deiner ermächtigt hat. Doch sie wiederholen sich nur.
So nimm alles mit, solange es geht.“

Ich will ihn so vieles fragen, doch weiß ich nicht was ich als erstes fragen soll.
Komischer Weise kann man sich seiner Stimme, wenn man sich auf sie einlässt, fast nicht mehr entziehen.
Sie hat etwas hypnotisches an sich.

Er macht mehrere Drinks, diesmal Scotch on the Rocks.
Gehen runter wie Öl. Hat etwas befreiendes. Diese ganze Stimmung.


„Bist du dir deines Anspruches überhaupt bewusst, den du weckst ?“

„Ich will keine Ansprüche wecken, wenn dann will ich generell wecken. Aus einem destruktivem Phlegma und einer angstmachenden Lethargie dieser Zeit. Ich will keine Lehre.
Ich will gefühlte Augenblicke die eine emotionale Evolution auslösen."

„Woraus besteht deiner Meinung nach das Phlegma und die Lethargie ?“

„Aus Angst. Angst macht untätig, lässt erstarren.
Grenzen sind Angst, Verluste sind Angst, Tod ist Angst, so wird Leben und Liebe zu Angst.“

„Was bezeichnest du als emotionale Evolution ?“

"Seit dem der Mensch von sich erzählt, führte er Kriege, hasste und liebte, ängstigte sich vor allem und jeden. Wir haben seit 10-20.0000 Jahren nichts anderes getan als uns darüber klar werden zu wollen was wir sind und wozu wir so fühlen, wie wir fühlen und denken, wie wir denken. Wir fanden Techniken und Gerätschaften, verwanden unsere Umwelt in unsere Waffe gegen uns selbst. Eine Evolution- im Sinne eines Bewussteins eines Zustandes- hat meines Erachtens nicht stattgefunden."

Die Musik wird lauter.
Die Drinks fangen an zu wirken.
Bea ist noch in Reichweite.
Das kann noch warten.


„Was hat es eigentlich genau mit der „3“ auf sich ? Sie scheint für dich eine essentielle Zahl zu sein ?!“
„Ja, das ist sie wirklich. Ich sehe mich als Sohn des dritten Jahrtausends. Ich glaube damit hat es wirklich angefangen. Der Anfang. Wieso genau die drei, kann und will ich dir nicht sagen. So leid es mir tut... !“

„ Erzähl mir etwas über deine Kindheit ?“

„Meine Kindheit ? Schwieriges Thema...!“

Er hält kurz inne, trinkt und holt eine Zigarette raus.

Hatte nicht gedacht, das er raucht. Jetzt wirkt es so natürlich. Komisch.


„Ich bin als Sohn von Einwanderern, in Deutschland geboren und aufgewachsen.
Mein Vater, politisch verfolgt, hatte Anfangs ein Stipendium für englische Literatur in Oxford, bevor er aus verschiedenen Gründen, nach Deutschland gezogen und meine Mutter geheiratet hat. Ich habe zwei Bruder. Die Familienverhältnisse, und die sozialen Umstände im dramaturgischem Detail, würden aber jetzt den Rahmen sprengen. Meine schulische Karriere war mehr als mäßig. Ich tat nur soviel ich musste, anfangs nicht einmal das. Ich las nur Comics, mehr nicht. Ich musste zwei Klassen wiederholen, galt als schwer erziehbar und leicht geschädigt. Bis zum Abitur hin, kultivierte ich die Rolle, des lethargischen Wunderkindes. Alles in allem eine Zeit, die mich zu dem geführt hat, wo ich bin“

„Ich muss dir für deine Direktheit mir gegenüber danken !“

„Bitte. Du musst dafür nicht danken. Ich halte diese Art von Interview für ein sehr seltenes Vergnügen...
und außerdem ist es freiwillig !“

„Was ist der Grundgedanke oder das Grundgefühl in deinen Büchern ?“

„ Würde ich dir das sagen, würde es der Absicht meiner Worte wider laufen. Sobald du es liest, gehört es dir. Du füllst mein Wort, mit deiner Welt. Somit läge es an dir, das zu entscheiden.
Wenn du das unbedingt brauchst.“

„Ich habe es aber nicht geschrieben !“

„Letzten Endes geht es nicht darum. Denn letzten Endes, habe ich damit, schon mehr als genug getan !“

„Ich glaube ich weiss, was du damit sagen willst. Es geht um die Konsequenz.“

„Richtig.“

Er zündet sich wieder eine Zigarette an.

Schaut sich um, lächelt ein wenig in die Runde.

Er entschuldigt sich kurz und geht zu dem Tisch, wo Bea, die Beinkönigin, sitzt.

Worüber die sich wohl unterhalten ?


Ich mache mir einen Drink und beschließe dabei eine gute Figur abzugeben.

Nicht leicht.


„Bea, das ist ***. Journalist und Freund. Gib ihm einen Kuss !“

Er hat sie hergebracht.

Sie beugt sich zu mir und küsst mich auf beide Wangen.
Irgendwas steckt sie mir noch in der Dämmerung zu.

Ein Zettel.

Ich schütte mir fast den halben Drink auf die Hose.


„Bye... Ich muss leider wieder los, hab morgen einen wichtigen Termin.“
Und weg ist sie.


„Wundervolle Frau. So lebendig. Versau es bloß nicht. Ihrem letzten Lover,
hat sie fast die Bude abgefackelt.“

„Danke für die Information. Ich stehe wohl in deiner Schuld.“

Er lacht und winkt heftig ab.

„Nein, nein, das tust du nicht. Lass uns abwarten, sie ist genauso schön, wie sie teuflisch ist.“


Weiter gehts.

„Kommen wir zurück, zu dir. Als was würdest du dich bezeichnen ?“

„Wie meinst du das ?“

„Würdest du dich als Philosophen bezeichnen ?“

„Nein.“

„Wieso ? Bist du keiner ?“

„Nicht im Sinne der Tradition.“

„Als was dann ?“

„ Als Schriftsteller. Aber wenn ich etwas aussuchen müsste, dann wäre es „Filmemacher“ !“

„Filmemacher ?“

„Ich sah mich schon als einer, bevor ich überhaupt klar denken konnte. Vielleicht auch gerade deswegen. Anfangs war es der Wunsch Schauspieler zu werden, doch die herrischen Regiesseure des Schultheaters, förderten in mir den Wunsch zur eigenen Regie, zur eigenen Vorstellung für jedes Wort, jedes Licht und jede Bewegung.

„Filmemacher !?“

„Mit Herzen. Doch darüber, reden wir, wenn ich wegen meiner Filme,
interessant genug bin interviewt zu werden.“


„Abgemacht.“

Er lacht so herzlich, das er fast den Tisch umhaut.

Ich mag ihn.

Das wäre ein perfektes Ende.


Vom Interview.